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Berlin 2017 Mika – Mein Sohn. Mein Weg. Unser Alltag zwischen Licht & Sturm. AUJA.org Spielraumtherapie



Manchmal fühlt sich das Leben an wie ein Drahtseilakt – vor allem, wenn man Mutter ist. Und noch mehr, wenn man Mutter eines Kindes ist, das die Welt anders wahrnimmt. Ich bin Melanie, alleinerziehend mit drei Kindern. Und Mika – mein Sohn, geboren am 19. April 2010 – hat mein Leben verändert. Tief. Ehrlich. Für immer.

Schon früh war klar: Mika ist anders. Nicht weniger. Nicht schwächer. Aber eben anders. Seine Wahrnehmung ist besonders, intensiv, empfindlich. Dinge, die andere kaum berühren, wühlen ihn auf. Geräusche, Menschenmengen, Veränderungen – all das bringt sein Inneres durcheinander. Und doch ist er voller Neugier, voller Fragen, voller liebevoller Eigenarten, die mich staunen lassen.

Als er 2016 eingeschult wurde, begann ein neuer Abschnitt – für ihn und für uns alle. Und keiner von uns wusste, wie schwer dieser Weg werden würde. Schule – das war von Anfang an ein Thema voller Ambivalenz. Ich habe so oft versucht, sie ihm näherzubringen: durch Gespräche, Spielstunden, kleine Rituale. Wir redeten über das „Warum“, über das „Wie lange“, darüber, was ihm gefällt – und was eben nicht. Ich holte mir regelmäßig Tipps, versuchte alles zu sortieren: Stärken, Schwächen, Interessen. Aber es war, als würden wir permanent gegen einen Strom anschwimmen, der stärker war als alles, was ich mir vorstellen konnte.
Obwohl wir in der Spieltherapie Schule geübt- gespielt haben, war die Realität nochmal eine andere.

Mika wehrt sich nicht. Er flüchtet nicht.
Ja er lief des öfteren davon- "weg lauf- tendenzen" wenn er etwas gar nicht mehr aushalten kann. Denn Schule kostet ihn unendlich viel Kraft. Er kämpft jeden Tag. Und dieser Kampf – der sitzt tief. So tief, dass er nachts nicht mehr schlafen kann. Dass er weinend, schreiend aus dem Schlaf hochfährt. Dass er sich nicht erinnert, was war – nur dass es zu viel war. Manchmal musste ich morgens überlegen, ob ich überhaupt zur Arbeit gehen kann. Ob Mika überhaupt in die Schule kann. Nicht, weil wir faul waren. Sondern weil sein Nervensystem längst überfordert war.

Ich erinnere mich gut an die Zeit, in der ich gesagt habe: „Ich halte bis zum Ende der zweiten Klasse durch.“ Es war nicht trotzig gemeint. Es war ein Satz, der alles zusammenfasste, was ich jeden Tag versuchte: Durchhalten. Struktur schaffen. Aushalten. Lieben.

In all dem durfte ich auch miterleben, wie Mika auf seine eigene Weise Verbindung schafft. Zu seinem kleinen Bruder Luis zum Beispiel. Luis ist der Einzige, den Mika wirklich körperlich nah an sich heranlässt. Eine zarte, innige Bindung, die mich immer wieder rührt. Die beiden lernen, wie man Konflikte klärt – mit Regeln, mit Sprache, mit Herz.

Auch Luis war oft Teil von Mikas Spielstunden/ Therapiestunden im Spielraum, (von Auja.org. Autismus Verstehen & handeln), Luis war auch ein Lernfeld für Nähe, Grenzen, Rücksicht. Und ich bin dankbar für all die Menschen, die uns auf diesem Weg begleiten – in der Schule, in der Spieltherapie, im Alltag. Es ist nicht immer einfach. Manchmal ist die Zusammenarbeit mit Institutionen eine Herausforderung. Aber ich bleibe optimistisch. Immer.

Mika hat regelmäßig Spielstunden. Zwei neue Studierende von der Alice Salomon Hochschule begleiten uns. Im Sommer 2017 stand eine große Teamsitzung mit Evaluation an. Und während ich selbst zum dritten Mal meinen Job wechselte, koordinierte ich Spielstunden, Schulweg, Mietzahlungen – und versuchte, allen drei Kindern gerecht zu werden. Keine leichte Aufgabe. Aber eine, die ich mit Liebe und Ausdauer trage.

Denn ich sehe ihn. Meinen Sohn. Ich sehe sein Ringen. Seine Fragen. Sein langsames Begreifen, dass er in vielem anders ist – und trotzdem dazugehören möchte. Ich sehe seine Unsicherheit bei Ausflügen, die er einerseits liebt, und die ihn andererseits so aufwühlen, dass er nachts nicht mehr zur Ruhe kommt.

Ich wünsche mir, dass wir noch weitere Möglichkeiten ausprobieren können – wie zum Beispiel die geplante Schlafüberwachung im SPZ. Ich bin offen für alles, was hilft, sein Leben leichter zu machen. Und ja, ich bete. Jeden Tag. Für Mika, für meine Familie, für all die Menschen, die mit uns durch dieses Leben gehen.

Mika ist mein Geschenk. Er ist der Grund, warum ich wachse. Warum ich kämpfe. Warum ich noch tiefer lieben gelernt habe.

Und ich werde weitergehen. Mit ihm. Für ihn. Für uns.

Von Herzen,
Melanie

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