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Mika 2024 – Wenn Autismus nicht das Problem ist, sondern die Welt da draußen 1. Versuch einer Rehabilitation



Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.
Vielleicht damit: Mika hat es geschafft. Wir haben es geschafft. Wieder mal.
Aber auf welchem Weg – das muss man erzählen.

Mika ist 14. Ein Teenager. Ein Junge mit Spezialinteressen: Musik, Zeichnen, PC. Einer, der sich selbst Keyboard beigebracht hat, der Tracks produziert, der sich Videos auf Englisch anschaut, obwohl nie jemand mit ihm Englisch geübt hat. Ein Kind, das sich ständig selbst etwas beibringt – wenn man ihn nur lässt.

Er hat klare Vorstellungen. Vom Leben. Vom Alltag. Von dem, was geht – und was gar nicht.

Langärmlige Kleidung geht gar nicht.
Berührungen auch nicht.
Gesichter, Mimik, Gestik – schwer.
Spontanität? Fast unmöglich.

Mika nimmt alles wörtlich. Und ich nehme ihn wörtlich. Weil ich ihn kenne. Weil ich weiß, dass sein „Nein“ ein echtes Nein ist – nicht ein „vielleicht“. Dass sein „Ich kann das nicht“ kein Bock ist – sondern eine Reizblockade.

Und trotzdem hat er es geschafft. Trotz seiner Ängste. Trotz der Welt, die ihn überfordert. Trotz der vielen Menschen, der fremden Zimmer, der fremden Gerüche, der Unruhe in seinem System.

Wir sind gemeinsam zur Reha gefahren.
Ein langer Weg, im Auto, über Prag, mit Chicken Nuggets, Pommes und einer Gabel, mit Eis an der Raststätte, mit viel Wasser und noch mehr Vorbereitung.

Und Mika hat mitgemacht.
Er hat sich angezogen – sogar eine lange Hose.
Er hat neue Schuhe getragen.
Er hat die Treppe runter geschafft.
Er hat den Weg ins Auto geschafft.
Er war aufgeregt. Stolz. Unsicher. Mutig.

Als wir ankamen, da stand das ganze Klinikgelände vor uns. Riesig. Die Zimmer im vierten Stock. Die Mensa auf der anderen Seite des Hauses. Und dann – der erste große Rückschlag: Schimmel im Bad. Ekel. Aus. Stopp.

Ich kann Mika da nicht überreden.
Nicht mit Vernunft. Nicht mit „Das wird schon“.
Wenn es für ihn eklig ist, dann ist es vorbei.
Weil sein Körper dann dichtmacht.

Also haben wir umgedacht. Hotel in München. Saubere Dusche. Ruhiges Zimmer.
Keine Menschenmassen. Kein Frühstücksraum. Kein Zwang.

Und Mika war glücklich.

Er war ehrlich. Zu mir. Zu den Ärzten. Er sagte:
„Wenn du sagst, das ist sauber, dann lügst du.“
Und ja – das ist Mika. Radikal ehrlich. Klar. Echt.

Wir haben noch zwei ambulante Gespräche gemacht.
Und dann – die zweite große Herausforderung:
Der Besuch bei meinen Eltern. Nach Jahren.
Und es lief. Weil der Balkon schön war. Weil Wasser da war.
Weil niemand ihn drängte.

Und dann?
Friedrichshafen. Bodensee. Gabriel. „Eddy13“.
Ein Junge, den Mika seit 2017 aus Online-Spielen kennt.
Und jetzt wollte er ihn sehen. „Aber bitte ohne Berührung – nur Ellenbogen sind okay.“
Klar. Kommunikation auf Autismus-Level. Und es hat funktioniert.

Ich saß im Auto vor Gabriels Haustür.
Er war mit Gabriel, dessen Vater, Oma auf dem Spielplatz.
Und ich? Ich war stolz.
So stolz, dass ich platzen könnte.

Am Ende – der Wunsch: „Ich will jetzt nach Hause.“
Alles war geschafft. Alles war neu. Alles war viel.

Mikas Hosen waren schmutzig. Seine T-Shirts auch.
Und Mika zieht nie ein Shirt zweimal an.

Wir sind heimgefahren.
Mit Muskelkater, mit Erinnerungen, mit einem neuen Beweis:

Mika kann.
Wenn er darf. Wenn man ihn ernst nimmt. Wenn man ihn nicht zwingt.

Und all die Vorwürfe von außen – „Isolation“, „nicht sozial“, „nicht schulbereit“ – sie zeigen nur eines: Dass da draußen viele Menschen nicht verstehen, dass Selbstschutz kein Rückzug ist. Sondern Überleben.

Mika lebt. Mika schützt sich. Mika entscheidet.
Mit mir an seiner Seite. Immer.

Und wenn du ihn wirklich kennen würdest, würdest du wissen:
Mika ist kein Risiko.
Er ist ein Wunder.
 


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