Der April 2017.
Ich weiß es noch genau. Damals dachte ich: Ich habe alles irgendwie im Griff.
Und vielleicht hatte ich das sogar – zumindest für einen Moment.
Mein Sohn Mika war damals sechs Jahre alt. Gerade frisch eingeschult. Hochsensibel. Hochfunktional. Und zutiefst überfordert von einer Welt, die laut, chaotisch und unberechenbar ist. Mika lebt mit Autismus – auch wenn das zu dieser Zeit noch kaum jemand richtig verstanden hat. Manchmal nicht mal ich.
Schule: Ein täglicher Drahtseilakt
Mika ging regelmäßig zur Schule – zumindest meistens. Wenn er nicht komplett überreizt war oder schon beim Aufwachen das Gefühl hatte: Heute geht es nicht.
Manche Tage begann er zur zweiten Stunde, manche gar nicht. Und wenn er da war, hing alles von seiner Tagesform ab. Ich erinnere mich an Gespräche mit Lehrkräften, an das ständige Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Ich war alleinerziehend mit drei Kindern. Organisierte Spielstunden, Schulweg, Miete, mein neuer Job ab dem 18. April. Immer wieder neu.
Die Einschulung – ein Wendepunkt
Im September 2016 kam Mika in die Schule. Und plötzlich war da etwas in Bewegung geraten, das größer war als ich. Seine Überforderung stieg von Woche zu Woche. Die Versuche, Schule spielerisch als „etwas Schönes“ zu verpacken, scheiterten oft. Ich holte mir wöchentlich Tipps. Machte Spielstunden zur Mini-Therapie: Warum Schule? Was gefällt dir, was nicht?
Ich versuchte, Stärken und Schwächen zu sortieren. Ihn zu begleiten. Zwischen Familie, Geschwistern, Schule und Spieltherapie. Aber manchmal hatte ich einfach keine Kraft mehr.
Der kleine Junge, der mitwill – und doch nicht kann
Mika wollte mit auf Ausflüge – wirklich. Doch je mehr Menschen, je länger der Weg, desto mehr Verwirrung in seinem Kopf. Und wenn er es dann doch tat, schlug es auf seinen Schlaf. Er weinte. Schrie im Schlaf. Sagte „Nein!“ im Traum. Und oft konnte ich ihn kaum wachrütteln.
Als Mutter zerriss mich das. Ich konnte nicht einfach zur Arbeit gehen, während mein Kind im inneren Ausnahmezustand war.
Nähe nur, wenn es sich sicher anfühlt
Und dann war da Luis. Der kleine Bruder. Und der einzige Mensch, den Mika wirklich körperlich an sich heranließ. Ihre Beziehung war besonders. Sie lernten zusammen zu streiten, zu verzeihen, zu umarmen – und das alles in einem Rahmen, den Mika bestimmen konnte.
Luis wurde manchmal sogar bewusst in Spielstunden mit einbezogen, um diese Verbindung zu stärken. Denn wo Worte fehlen, kann manchmal nur Nähe heilen.
Zwischen Struktur, Überforderung und Liebe
Mikas Welt ist komplex. Und sie ist wunderschön – wenn man sie versteht. Ich lernte in dieser Zeit, dass Integration nicht gleich Inklusion ist. Dass Schule ein System ist, das oft nicht für Kinder wie Mika gebaut wurde. Und dass ich als Mutter gleichzeitig Navigatorin, Schutzschild, Dolmetscherin und Ruhepol sein musste.
Ich war erschöpft – ja. Aber ich war auch entschlossen. Mika war mein Lehrer. Mein Spiegel. Mein größter Antrieb. Ich wollte wissen, was ihn bewegt. Warum er oft nicht mitkonnte, obwohl er wollte. Und ich wusste: Ich werde für ihn kämpfen. Immer.
...weiß ich, dass viele dieser Erfahrungen nicht „nur“ anstrengend waren. Sie waren entscheidend. Für unser Verständnis von Autismus. Für unsere Beziehung. Für meine eigene Entwicklung.
Ich bin heute nicht mehr dieselbe Frau wie im April 2017. Aber ich bin immer noch dieselbe Mutter. Nur stärker. Klarer. Und voller Dankbarkeit für das, was ich lernen durfte.
Und an dich, der oder die das gerade liest:
Wenn dein Kind anders ist – vertraue deinem Gefühl.
Wenn andere urteilen – höre auf dein Herz.
Wenn du denkst, du schaffst das nicht – atme. Du schaffst es trotzdem.
Und wenn du dich allein fühlst – lies das nochmal von vorn.
Denn du bist nicht allein.
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